Predigt von Marie-Noëlle von der Recke
Von Donnerstag 30. Mai bis Sonntag 2. Juni feierte die Basisgemeinde die Entstehung der Gemeinde vor 50 Jahren und den 50 Jahre lange Weg der Gemeinde.
Im Festgottesdienst predigte Marie-Noëlle von der Recke über Johannes 6,66-69. Hier ein Ausschnitt aus der Predigt:
Ich möchte mit Euch über einen kurzen Text im Johannesevangelium nachdenken. Im Kapitel 6, lesen wir:
Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm. Da sprach Jesus zu den Zwölf: Wollt ihr auch weggehen? Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.
Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.
Wie schön, diese Worte und das Bild aus überall zu finden, als wir ankamen...
Der Kontext dieses Bekenntnisses des Petrus ist spannend.
Jesus hat Menschen geheilt (Kapitel 4 und 5)
Er hat 5000 Menschen zu Essen gegeben (6). Sie sind davon so beeindruckt, dass sie Jesus zum König machen wollen. Manche wollen ihm nachfolgen. Aber die Atmosphäre ist angespannt. Jesus scheint daran zu zweifeln, dass die Menschen seine Worte wirklich glauben, ja überhaupt begreifen. Diese wiederum bedrängen ihn mit Fragen. Er antwortet, aber nicht wie sie es gerne hätten.
Und er warnt sie: Ihr sucht mich nicht weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil Ihr von den Broten satt geworden seid (Vers 26) das heißt: einen Brotkönig wollt Ihr haben, eine fertige Antwort auf die wirtschaftliche Misere, in der ihr lebt. Aber Ihr erkennt nicht das Zeichen, auf das die Brotvermehrung hinweisen will: ich bin das Brot.
Später im Gespräch bitten Menschen um ein Zeichen, so was wie damals das Manna, das Gott seinem Volk in der Wüste gegeben hat. Jesus wiederholt: das Manna hat die Menschen nur für einen Moment satt gemacht. Und er legt nach : ich bin das Brot vom Himmel (Vers 41). 18 x ist in diesem Kapitel vom Brot die Rede, davon 12 x im Singular, 12x um zu sagen, das Jesus das Brot ist!
Nach dieser Debatte entfernen sich Menschen, die sich schon als Jünger und Jüngerinnen verstanden. Und da kommt die Frage an die 12: "und ihr, wollt auch ihr weggehen?" Und die für mich bewegende Antwort: Herr, wohin sollen wir gehen?
An diese Antwort des Petrus habe ich oft in Krisenzeiten unserer Gemeinschaft gedacht, und sie hat mich des öfteren getröstet und ermutigt.
In der Geschichte der Basisgemeinde spiegeln sich die Freuden und Schwierigkeiten der letzten 50 Jahre an diesem Ort und vorher in Kornwestheim wieder. In dieser Zeit, habt Ihr so ziemlich Alles erlebt, was man erleben kann: Die begeisternden Anfänge, der Aufbruch und Umzug ins Unbekannte, die Suche nach einer wirtschaftlichen Basis, das Engagement nach Innen und Außen, das Erproben neuer Wohnformen, Gebet, Gesang, Spiel und Tanz aber auch das Älter- und Müde-werden, die Überforderung und die bitteren Enttäuschungen, ja auch die Trauer. In vielem konnte ich Muster erkennen, die wohl in jeder Gemeinschaft zu finden sind. Ich kenne das Gefühl, den Aufgaben nicht gewachsen zu sein, erschöpft zu sein. Ich weiß aus Erfahrung, wie schmerzhaft es ist, wenn Menschen, mit denen wir - manchmal sehr lange - unterwegs gewesen sind, uns verlassen, um nur zwei Beispiele zu nehmen. Manche der Älteren mögen vielleicht die Pionierzeit nachtrauern, die Zeit der ersten Liebe und der mutigen Schritte und des Verzichts... Ich musste schmunzeln, als ich las, dass der erste Anblick der Wohnhäuser für die Gründergeneration ein Schock gewesen ist. 1986 oder 1985 waren Ernst und ich zu einem ersten Besuch hier und schlotterten vor Kälte und Feuchtigkeit im Gästezimmer in das wir einquartiert wurden. Ich hatte sogar versucht, den alten Heizkörper auf zu drehen, ohne Erfolg. Dabei hatten wir auch bei uns in Laufdorf noch keine Zentralheizung, aber mindestens konnten wir mit kleinen Holzöfen die Zimmer einigermaßen warm kriegen.
Welches Bild drängt ich auf an einem Tag wie dieser? Das außergewöhnlich Schöne, Sinnvolle , die Momente der Begeisterung, oder eher die Ernüchternden Erfahrungen, die Mühsal der Entscheidungsfindung, die Konflikte, die Verletzungen? Ruth Warneck, die eine der Urgesteine des Laurentiuskonventes war und einen knirschenden Humor besaß, sagte manchmal über das Leben in Gemeinschaft: "Es ist richtig, aber es macht keinen Spaß". Trotzdem schwärmte sie bei der Feier ihres 90. Geburtstags, nach circa 60 Jahren im Konvent, in einer kleinen Ansprache, immer noch über das Leben in Gemeinschaft.
Wie können wir an diesem Tag frohen Herzens feiern, trotz der ambivalenten Gefühle über die Vergangenheit, die einfach da sind, und uns zuversichtlich einer unbekannten Zukunft zuwenden?
Petrus und die Jünger kennen wir als Menschen, die manchmal schwer vom Verstand waren, feige, die gerne den ersten Platz haben wollten, also Menschen wie Du und ich. Aber hier, zeigt Petrus das, was sie von anderen Menschen unterscheidet: sie sind nicht besser als Andere, aber sie haben gespürt, welchen Schatz sie in Jesus gefunden haben.
"Herr, Wohin sollen wir gehen: Du hast Worte ewigen Lebens. Wir haben geglaubt und erkannt, dass Du der heilige Gottes bist."
Mit Worten fing für die Jünger alles an. Mit der Berufung und der Lehre Jesu. Sowie in den Anfängen der Basisgemeinde in Kornwestheim damals: die Worte Jesu in der Bergpredigt wurden für die Gründergeneration lebendig. In der Kirchengeschichte steht immer die Neuentdeckung des Wortes am Anfang eines Aufbruches in das Abenteuer der Erneuerung.
Diese Worte sind Worte des Lebens, des ewigen Lebens. Darüber könnten wir lange miteinander nachdenken: ich glaube nicht, dass hier nur gemeint ist, Leben ohne zeitliches Ende. Wenn das Evangelium vom Leben spricht, dann geht es darum, dass Gott alles überwindet, was den Tod bringt, alles, was Menschen gefangen hält, äußerlich und innerlich. Leben ist Keimen im Verborgenen, Wachsen und Blühen, es heißt, gegen den Wind und gegen Widerstände zu kämpfen, es heißt, vorwärts zu gehen, Überwinden, resilient zu sein, wie man es heute sagen würde. In der Geschichte der Basisgemeinde finde ich überall Zeichen solchen Lebens, sei es in der Treue der Gemeindeglieder über die Jahrzehnte hinweg, sei es im Aufgreifen neuer Aufgaben, oder in den verschiedenen Bewegungen im wirtschaftlichen Bereich, sei es im Widerstand in Brockdorf oder im lebendigen Austausch mit Freunden in El Salvador und der Ukraine. Die Workshops gestern haben genau gezeigt, was her gemeint ist.
Wir haben geglaubt: hier benutzt der Text das Zeitwort im Perfekt, das heißt: das ist eine vollendete Tatsache, dahinter müssen wir, wollen wir nicht zurück. Wir haben geglaubt heißt nicht : wir denken, dass Du Recht hast, sondern wir nehmen Dich ernst, wir bauen auf Dich auf, Du bist der feste Grund, das Fundament auf dem wir leben wollen.
und erkannt, auch ein Perfektum, auch das steht fest, mit diesem so wichtigen Zeitwort, das oft in der Bibel vorkommt: kennen, erkennen. Kennen bedeutet nicht nur, dass wir etwas oder jemanden mit dem Verstand erfassen. Es bringt wie bei der Vereinigung zwischen Liebenden die tiefste Verbundenheit zum Ausdruck, also eine lebendige, frohe Entdeckung. Die Jünger haben sich auf Jesus eingelassen.
Auch hier können wir die Basisgemeinde wiederfinden. Wenn die Gründergeneration nicht an das Unmögliche geglaubt hätte, wenn alle, die sich hier später angeschlossen haben, sich auf dieses so besondere Leben nicht eingelassen hätten, wären wir nicht hier, um zu feiern.
Was haben sie geglaubt und erkannt? Dass Jesus der Heilige Gottes ist. Das heißt: Du, Jesus, bist Gott so nahe wie kein Anderer. Die Menschen, die mit Jesus diskutiert haben und ihn dann verliessen, verstanden das Wort Zeichen anders als Jesus: Für sie wäre ein Zeichen ein objektiver Beweis, gewesen, dass Jesus der ist, auf den sie warteten. Für Jesus ist ein Zeichen nicht ein Beweis, sondern ein Hinweis. Die Zeichen, die er getan hat, weisen auf seine Person hin, und vor Allem auf seine Beziehung zu Gott, auf seine Berufung, Gottes Wille zu verkörpern und zu tun. Petrus, in seiner Antwort - wir haben erkannt, das Du der Heilige Gottes bist - zeigt, dass die Jünger die Zeichen, die Jesus tat, begriffen haben, nicht als Beweise, nicht als objektive Garantie, sondern als Hinweis auf Gott.
Was Jesus tut, zeigt, wer er ist, in wessen Namen er handelt. Durch Jesu Worte und Taten wird deutlich, wer Gott ist und was Gott will, nämlich: Leben in Fülle. Jesus gibt sein eigenes Leben hin - nicht nur ein Bisschen Brot - damit die Menschen leben. Das ist das, was Petrus und die Jünger gespürt haben, begriffen haben, warum sie bei Jesus blieben.
Wenn Ihr auf 50 Jahre Gemeinschaftsleben zurückschaut, dann wünsche ich Euch, dass Ihr Euch an das, was Jesus von sich sagt und was Petrus für die Jünger betont, immer wieder erinnert. Erinnert, nicht im Sinne von Geschichte, die in einem Buch auf dem Regal steht und auch nicht, im Sinne einer Nostalgie nach vergangenen Erfahrungen, und verstorbenen Menschen, sondern Erinnert im Sinne von verinnerlichen, so wie wir uns an Jesu Tod und Auferstehung erinnern, in dem wir Brot und Wein langsam zu uns nehmen, und buchstäblich mit allen Sinnen in uns hinein aufnehmen.
Wir dürfen an diesem Tag frohen Mutes auch in die Zukunft schauen. Mit Petrus und mit den Jüngern und Jüngerinnen die mit ihm geblieben sind, weiter gehen, täglich entdecken, wie Jesus Leben in Gott verstanden und gelebt hat, wie er mit Menschen umgegangen ist, wie er Menschen satt gemacht hat - nicht nur physisch, sondern auch psychisch und spirituell. 12x sagt Jesus in diesem Kapitel, dass er das Brot ist!
In der verzweifelten Situation unserer Zeit braucht es Menschen, die so leben und handeln, dass Leben entsteht, bewahrt wird, geehrt wird. Diese Menschen müssen nicht fehlerfrei sein, sie mögen an einander und an sich selbst gelitten haben, aber das Verrückte ist: ihr Beispiel ist dennoch ein lebendiges Zeichen, dass ein anderes Leben möglich ist.
Es kann sein, dass viele Menschen ihre Wege gehen. Ich persönlich würde bis heute wiederholen : Herr, wohin sollen wir gehen, denn ich habe bisher keinen besseren Weg gefunden.
Amen